FEMINISTISCHE AVANTGARDE - MADE IN AUSTRIA

18.02.2020Wien

Die SAMMLUNG VERBUND präsentiert in der Ausstellung FEMINISTISCHE AVANTGARDE – MADE IN AUSTRIA erstmals ausschließlich österreichische Pionierinnen der 1970er-Jahre. Ab 19. Februar 2020 sind in der Vertikalen Galerie der VERBUND-Zentrale rund 80 Arbeiten von insgesamt 16 Künstlerinnen zu sehen. Seit der viel beachteten Ausstellung der SAMMLUNG VERBUND im mumok im Jahr 2017 werden zahlreiche Neuerwerbungen präsentiert.

Gemeinsam ist den österreichischen feministischen Künstlerinnen die großartige Leistung, dass sie mit ihren Werken die kulturelle Konstruktion von Weiblichkeit radikal, ironisch und subversiv in Frage stellten.

16 Künstlerinnen 
Renate Bertlmann (*1943, Wien), Linda Christanell (*1939, Wien), Veronika Dreier (*1954, Voitsberg/ Steiermark), VALIE EXPORT (*1940, Linz), Gerda Fassel (*1941, Wien), Birgit Jürgenssen (1949–2003, Wien), Auguste Kronheim (*1937, Amsterdam) , Brigitte Lang (*1953, Feldbach/Steiermark), Karin Mack (*1940, Wien), Florentina Pakosta (*1933, Wien), Anita Münz (*1957, Basel), Friederike Pezold (*1945, Wien), Margot Pilz (*1936, Haarlem/Niederlande), Ingeborg G. Pluhar (*1944, Wien), Lotte Profohs (1934–2012, Wien), Brigitte Aloise Roth (1951–2018, Wien)
Seit der Ausstellung der SAMMLUNG VERBUND im mumok im Jahr 2017 sind jene acht Künstlerinnen hinzugekommen, deren Namen kursiv geschrieben sind.

Aktionistisch, provokativ bis poetisch 
„Die Ausstellung macht deutlich, dass die österreichischen Künstlerinnen eine Bandbreite vom aktionistischen, provokativen bis hin zum poetischen Feminismus auffächern. Letzterer war offenbar damals zu ‚leise‘, um wahrgenommen zu werden. Heute können wir die poetische Qualität des österreichischen Feminismus wertschätzen,“ so Kuratorin: Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, Wien. 

VERBUND übernimmt gesellschaftliche Verantwortung und fördert Projekte in sozialen, sportlichen und kulturellen Bereichen. Im Bereich der Kunst entschied sich der Vorstand, nicht durch ‚Sponsoring‘ zu agieren, sondern durch tatsächliche ‚Kulturarbeit‘ innerhalb des Unternehmens. „VERBUND begreift sein Engagement für zeitgenössische Kunst als Teil der Unternehmenskultur“, so Michael Strugl, stellvertretender Vorstandsvorsitzender VERBUND. „Der Anspruch der SAMMLUNG VERBUND ist es, einzelne künstlerische Positionen, die bisher verborgen waren, zu entdecken und sichtbar zu machen und eine Spur in unserem kulturellen Gedächtnis zu hinterlassen.“

Das Private ist politisch 
Vor dem Hintergrund der 1968er-Studentenbewegung, den Bestrebungen, überkommene moralische Werte der Kriegsgeneration zu überwinden, sowie der ‚sexuellen Revolution‘ entstand in den westlichen Ländern eine zweite Welle der Frauenbewegung. Frauen erkannten, dass ihre Probleme aufgrund der gegebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse einer Gesellschaft entstehen und nicht bloß ‚persönlicher‘ Natur sind. Wie schon 1949 die französische Philosophin Simone de Beauvoir in ihrer bahnbrechenden Schrift Das andere Geschlecht erklärte: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Gegen die gesetzliche Diskriminierung, wonach der Mann das Familienoberhaupt war und allein entscheiden konnte, beispielsweise welche Schule die Kinder besuchten, ob sie ins Ausland reisen dürften, wo die Familie wohnte und ob die Ehefrau außerhalb der Familie erwerbstätig sein sollte. Gegen solche und andere Ungleichheiten lehnten sich vermehrt Frauen in allen westlichen Ländern auf. Die Forderung, sogenannte „private“ Angelegenheiten öffentlich zu diskutieren – wie Familienrecht, Ehe, unbezahlte Reproduktionsarbeit, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Scheidung, Gewalt gegen Frauen –, mündete in dem Ruf: „Das Private ist politisch.“ 

Künstlerinnen organisierten sich 
Nicht selten hörten Künstlerinnen von Galeristen: „Warum soll ich Sie ausstellen, Sie sind doch eh verheiratet?“ Oder gut gemeint: „Ach, Fräulein Jürgenssen, warum schleppen Sie sich denn mit den schweren Lithosteinen ab, Sie werden doch eh bald heiraten.“ Da Frauen als Künstlerinnen nicht ernst genommen wurden, begannen sie sich zu organisieren. 1972 gründet Christa Hauer die Galerie im Griechenbeisl in Wien, wo ab 1975 ausschließlich Künstlerinnen ihre Werke zeigten. Im selben Jahr entsteht die Frauengruppe Aktion Unabhängiger Frauen (AUF), für die unter anderen Renate Bertlmann ihr Pamphlet Warum malt sie keine Blumen? in 1973 verfasst. 1975 findet die Ausstellung Frauen- Kunst-Kreation in der Galerie Krinzinger in Innsbruck statt. Im Jahre 1975 kuratiert VALIE EXPORT die legendäre Ausstellung MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität in der Galerie nächst St. Stephan, bei der internationale Künstlerinnen teilnahmen, unter anderen Birgit Jürgenssen und Renate Bertlmann. Im Internationalen Jahr der Frau war 1975 eine Großausstellung österreichischer Künstlerinnen im Völkerkundemuseum geplant. Die Jury bestand ausschließlich aus Männern. Einige Künstlerinnen protestierten, die Forderung nach einer paritätischen Besetzung des Kunstbeirats wurde abgelehnt. Darauf sagten 46 Künstlerinnen ihre Teilnahme an der Ausstellung ab. Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Situation der Künstlerinnen wurden mit dem Hinweis auf die Unzuständigkeit des Ministeriums nicht weiter verfolgt; ein versprochener Forschungsauftrag verwandelte sich in eine geringfügige Subvention. Diese nicht zu akzeptierende Situation war der Anlass, 1977 das Netzwerk Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen (IntAkt) zu gründen, das bis heute existiert. Die Hochphase der feministischen Kunstbewegung hielt in Österreich bis Mitte der 1980er-Jahre an. Im Jahr 1981 organisierte eine Gruppe von Studentinnen an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien erstmals eine Ausstellung nur für Frauen. Von 400 Inskribierten haben 100 Künstlerinnen ihre Beteiligung zugesagt, die Schau FEMINALE wurde 1983 verwirklicht. 1982 gründen einige Künstlerinnen in Graz die feministische Kulturzeitschrift Eva & Co., in der u.a. Veronika Dreier und Anita Münz erstmals ihre Werke veröffentlichten. 

Die Künstlerinnen 
Als Galionsfigur der feministischen Kunstbewegung in Österreich gilt VALIE EXPORT mit ihren mutigen Aktionen im öffentlichen Raum wie Tapp und Tastkino (1968) und Genitalpanik (1969). Sie entlarven provokativ den männlichen Blick sowie die Verdinglichung des weiblichen Körpers durch aufkommende Massenmedien. Renate Bertlmann dringt humorvoll in psychoanalytische Tiefen einer patriarchalen Gesellschaft vor und spürt die Verdrängung von Erotik und Sexualität auf. Ihre wiederkehrende Metapher des Phallus legt Macht- und Unterdrückungsmechanismen bloß. Die beklemmende Performance Die schwangere Braut im Rollstuhl bei Grita Insam 1978 sorgte für Betroffenheit. Linda Christanell ist als Avantgardefilmerin bekannt. In ihren Experimentalfilmen wie etwa Fingerfächer (1975) geht die Künstlerin primär von formalen Momenten aus und lässt, wie sie selbst sagt, „libidinös besetzte Objekte“ einander begegnen. 

Florentina Pakosta, bekannt durch ihre großformatigen Männerköpfe, schuf auch früh die wenig bekannten pointierten, explizit feministischen Zeichnungen. In Der Ehering und seine Folgen (1970) inszeniert Pakosta ironisch die Ehe als Falle. Frauen wehrten sich gegen die eindimensionale Rollenzuschreibung, als Hausfrau, Ehefrau und Mutter wahrgenommen zu werden. So verkleidet sich Birgit Jürgenssen in ihrer Fotoperformance als bürgerliche Hausfrau, drückt ihr Gesicht und ihre Hände gegen eine Glastür, auf die sie schreibt: Ich möchte hier raus! (1975). Bodenschrubben, die Schürze als Küchenherd oder die Unmöglichkeit, als übergroße Löwin aus dem Käfig auszubrechen, werden zu ironischen Szenarien alltäglichen Schreckens. Karin Mack kleidet sich für ihre Fotoserie Bügeltraum (1975) schwarz, als würde sie auf ein Begräbnis gehen, legt sich auf das Bügelbrett, schließt die Augen, lässt die Arme fallen und ruft den Tod der Hausfrau aus. Brigitte Lang schafft ungemütliche Schmuckstücke; Objekte aus Metall, die über ihren Frauenkörper gestülpt, als Abwehrreaktionen fungieren und das Gegenüber auf Distanz halten. Friederike Pezold schafft mit der Fragmentierung ihres Körpers Mundwerk oder Schamwerk (1975) eine leibhaftige Zeichensprache des weiblichen Geschlechts. Margot Pilz ist als Pionierin der Medienkunst und performativen Fotografie bekannt. Das letzte Abendmahl – Hommage à Kremser-Schmidt greift die christliche Ikonografie auf und inszeniert das Motiv mit Frauen. In dem sozialkritischen Arbeiterinnenaltar analysiert Pilz die ungerechte Bezahlung in einer Kaffeerösterei. Für die gleiche Arbeit bekommen Frauen viel weniger bezahlt als ihre männlichen Kollegen. 

Aufenthalte in Paris und Berlin von 1966 bis 1970 waren für Ingeborg Pluhar eine Befreiung aus der Strenge der Wiener Akademie bei Wotruba, Boeckl und Kokoschka. Sie hatte das Gefühl, etwas Eigenes zu entdecken. Bis heute sind Pluhars Collagen nahezu unbekannt. Aus Werbeanzeigen und den aufkommenden Hochglanzmagazinen schafft sie Anfang der 1970er-Jahre unzählige Collagen, in denen sie das weibliche Gesicht zerklüftet, zerstückelt und dekonstruiert, als Beitrag zur Kritik an Schönheitsdogmen. Die Collage Illuster für Ro von 1973 zeigt eine im Sand steckende Frau, die ihre Hände in die Höhe streckt, um die in den Primärfarben Rot, Gelb, Blau gehaltenen Quader vergeblich zu erlangen. Eine subtile Anspielung an ihren Mann, den Bildhauer Roland Goeschl. 
Viel zu wenig Beachtung fanden bisher die kraftstrotzenden Frauenfiguren der Bildhauerin Gerda Fassel. In ihren Zeichnungen wie Die drei Grazien (1978) und Bronzeplastiken Gwen (Queren Kong) von 1978 oder Titti de la Mancha (1979) entwirft sie keine fragilen Frauenkörper, sondern Körpererfahrungen, die mit Stärke zu tun haben. Es sind kompakte Leiber mit breiten Schultern, prallen Brüsten und stolz gezeigter Vulva. Fassel wollte Frauenfiguren anders als üblich darstellen, nicht wie „diese Barbie- Puppen“. Auguste Kronheim klagt in ihren ausdrucksstarken und bisher zu wenig beachteten Holzschnitten Frau und Mutter (1970) und Morgen bist du Hausfrau (1978–79) die trostlose Aussicht des Hausfrauendaseins als Bedrohung an. Le Rouge et le Noir (1982) umfasst eine Reihe von Geräten, Abwehrwaffen und Keuschheitsgürteln. Die Bilder von Kronheim demontieren, wie Franz Schuh erklärt, „den Schein der Normen. Diese Scheinwelt ist durchtränkt von Sexualität, sie ist ‚sexualisiert‘, aber Lust ist in ihr nur eine Sparte von Gewalt“. 

Lotte Profohs, gemeinhin als Muse ihres Mannes des Phantastischen Realisten Helmut Leherb bekannt, schuf bemerkenswerte und völlig in Vergessenheit geratene ausdrucksstarke Tuschezeichnungen. In Reaktion auf die damals zumeist erotisch-sexistischen Bilder von Frauen, widmete sich Profohs ihrem sozialkritischen Zyklus Erbarmt euch der Frauen. Sie zeichnet einsame, alte Frauen, Prostituierte und Tabuthemen wie Abtreibung und lesbische Liebe. Die in Salzburg lebende Friederike Pezold widmet sich in schwarz-weiß dem fragmentierten weiblichen Körper, wodurch Augen, Mund und Vulva zum Zeichen wird. Und die in Graz lebende Veronika Dreier übernäht ihr Fotografie-Porträt in vier Phasen, immer intensiver um schließlich die Übernähungen in eine Aktion der Gesichtsübermalung münden zu lassen. Ihr roter Schuh mit Nägeln konterkariert ironisch sexistische Vorstellungen. Unbekannt sind die farbig-impulsive Befreiungsbilder von Anita Münz, die dem weiblichen Begehren selbstbewusst Ausdruck verleihen. 1981 wurden ihre Zeichnungen in einer Ausstellung im Ateliertheater zensuriert und seit ihrer Beteiligung in FEMINALE 83 nicht wieder gezeigt. Brigitte Aloise Roth entwarf in ihrer Fotografie Hampelfrau ein Pendent zum Hampelmann, eine Persiflage darauf, wie Frauen in den 1970er-Jahren im Patriarchat gesehen wurden, als leicht beeinflussbare Personen. Zugleich warnt sie davor, sich eben nicht zur Hampelfrau machen zu lassen.

Ingun Metelko Ingun Metelko

Unternehmenssprecherin

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