Radikale gesellschaftliche Fragen
Anhand von über 300 Arbeiten aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien zeigt die Ausstellung, wie Künstlerinnen in den 1970er-Jahren zum ersten Mal in der Kunstgeschichte ein eigenes „Bild der Frau“ kollektiv neu kreieren. Es war den Künstlerinnen, die in den Kriegs- und Nachkriegsjahren geboren sind endlich möglich an den Akademien zu studieren und sich von der Rolle der Muse und des Modells zu emanzipieren. In ihren Werken stellen sie radikal neue Fragen an die Gesellschaft und den Kunstbetrieb. Auch wenn sich die Künstlerinnen nicht kannten, weisen ihre Kunstwerke inhaltliche und formale Parallelen auf.
Das Private ist Politisch
Vor dem Hintergrund von Bürgerrechts- und Frauenbewegung werden Anliegen von Frauen erstmals öffentlich diskutiert; das Private bekommt politische Bedeutung. Innerhalb kürzester Zeit beginnen Frauen sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, versammeln sich zu Aktionen, halten Demonstrationen ab und organisieren eigene Ausstellungen. In ihren Werken gehen die Künstlerinnen der „Feministischen Avantgarde“ der Frage nach, wie das traditionelle „Bild der Frau“, die Wahrnehmung der Frau sowie die Konstituierung der eigenen Identität in unserer Gesellschaft bestimmt. Dabei stehen Themen wie eindimensionale Rollenzuweisungen als Mutter, Haus- und Ehefrau, weibliche Sexualität, der eigene Körper, Schönheit und Gewalt gegen Frauen im Fokus.
Rollenspiel - Klischees und Stereotypen werden hinterfragt
Viele Künstlerinnen eint die Ablehnung stereotyper Rollenbilder. Martha Rosler (*1943) etwa überzeichnet die Rolle der für Heim und Herd verantwortlichen Frau. Birgit Jürgenssen (*1949) hängt sich einen Herd wie eine Küchenschürze um. Es ist das Spiel mit der Kamera, die Maskerade und das Kostüm als Mittel der Selbstdarstellung, mit denen die Künstlerinnen Vorstellungen von Identität und Weiblichkeit als gesellschaftliches Konstrukt hinterfragen. Cindy Sherman (*1954), Hannah Wilke (*1940) und Martha Wilson (*1947) nehmen für ihre Fotografien verschiedenste Rollen ein, untersuchen alltägliche und historische Klischees. Ähnlich Lynn Hershman Leeson (*1941), die mit „Roberta Breitmore“ eine fiktive Person kreiert, die sie über Jahre hinweg lebt. Rita Myers (*1947), Ewa Partum (*1945) und Suzy Lake (*1947) befragen dagegen in ihren Arbeiten Ideale von Schönheit und Makellosigkeit.
Neue Medien
Zahlreiche Künstlerinnen wenden sich ganz bewusst den neuen, historisch unbelasteten Medien wie Fotografie, Film und Video zu, nutzten die Performance als künstlerisches Ausdrucksmittel. VALIE EXPORT (*1940) etwa lädt auf dem Münchner Stachus Passanten ein, ihr Tapp- und Tastkino zu besuchen. Dies bedeutete, dass die Passanten ihre Hände in einen Kasten stecken konnten, den die Künstlerin vor ihrem nackten Oberkörper trug. Oftmals ist es der eigene Körper, der zum Material der Kunst wird, dabei gehen einige Künstlerinnen bis an die Grenzen körperlicher Belastbarkeit, darunter Ana Mendieta (1948–1985) oder Gina Pane (1939–1990). Humorvoll und ironisch, subtil und provozierend dekonstruieren die Künstlerinnen der „Feministischen Avantgarde“ die traditionelle Ikonographie des Weiblichen.
Gegen das Diktat der Schönheit
Ein weiterer Topos der Feministischen Avantgarde ist die Ironisierung des weiblichen Schönheitsideals und die Attribute der Makellosigkeit und Reinheit die den Frauen zugeordneten werden. In der Performance Change (*1974) lässt sich die polnische Künstlerin Ewa Partum (*1945) eine Körperhälfte von Maskenbildner_innen gealtert schminken. Sie inszeniert sich als alte Dame und hinterfragt zugleich das gängige weibliche Schönheitsideal. Eleanor Antin (*1935) zeigt in ihrem Video Representational Painting (*1971) wie sie ihr Gesicht schminkt. Der Titel bezieht sich auf das Auftragen von Make-up als ein übertragener Akt des Malens. Indem die amerikanische Künstlerin Rita Myers (*1947) ihre „bessere“ Körperhälfte in einer Fotografie spiegelt, kreiert sie den vermeintlichen perfekten weiblichen Körper und zugleich ein irritierendes Bild. Während VALIE EXPORT, Cindy Sherman oder Martha Rosler einem breiten Publikum bekannt sind, liegt das Besondere der Ausstellung in der Möglichkeit weitere bedeutende, bislang weniger bekannte Vertreterinnen der „Feministischen Avantgarde“ zu entdecken.
Fotos: © Kate Elliott / The Photographers‘ Gallery, London